Unterschiede

Es gibt zwei Axiome über die Funktion des Verstandes, mit denen der Auditor vertraut sein sollte.

I. Der Verstand erkennt, stellt und löst Probleme, die das Überleben betreffen.

II. Der analytische Verstand denkt in Unterschieden. Der reaktive Verstand denkt in Gleichsetzungen.

Das erste Axiom ist für den Auditor bei seiner Arbeit deswegen interessant, weil er damit klar feststellen kann, ob er es mit einer vernünftigen Reaktion zu tun hat oder nicht. Das sieben Jahre alte Mädchen, das schaudert, wenn es von einem Mann geküsst wird, stellt keine Berechnungen an; es reagiert auf ein Engramm, denn mit sieben sollte es an einem Kuss nichts Verkehrtes sehen, nicht einmal an einem leidenschaftlichen. Es muss für das Kind eine frühe­re Erfahrung geben, möglicherweise eine vorgeburtliche, die Männer oder Küsse zu einer üblen Sache gemacht hat. Alle Abweichungen von der optimalen Vernunft sind zum Auffinden von Engrammen nützlich, alle unvernünftigen Befürchtungen usw. sind Wasser auf die Mühlen des Auditors. Zusammen mit dem obenstehenden Gesetz sollte der Auditor auch die Formel der optimalen Lösung studieren. Jede Abweichung vom Optimum ist verdächtig. Er kümmert sich zwar wenig um Aberrationen, jedoch wird ein Fall manchmal zum Stillstand kommen oder keine Engramme zu haben scheinen. Dann kann der Auditor das Verhalten seines Patienten sowie dessen Reak­tionen auf das Leben beobachten, um Daten zu gewinnen.

Das zweite Gesetz ist der Beitrag der Dianetik zur Logik. In künftigen philosophischen Schriften der Dianetik wird darauf näher eingegangen werden. Das Pendel des Aristoteles und seine zweiwer­tige Logik wurden nicht wegen irgendeiner Abneigung gegenüber Aristoteles verworfen, sondern weil umfassendere Massstäbe nötig waren. Einer dieser Massstäbe war das Prinzip des Spektrums, bei dem Abstufungen von Null bis Unendlich und von Unendlich bis Unendlich verwendet sowie Absoluta für wissenschaftliche Zwecke als völlig unerreichbar angesehen werden.

Im Lichte des zweiten Axioms muss man sich den Verstand so vor­stellen, dass er Unterschiede sehr deutlich und genau erkennt, wenn er der vollkommenen Vernunft am nächsten kommt. Je weiter er von der Vernunft abfällt, desto weniger Unterschiede erkennt er, bis er schliesslich fast völlig unfähig wird, irgendeinen Unterschied in Zeit, Raum oder Denkinhalten zu bestimmen. Er muss dann als völlig gei­steskrank betrachtet werden. Zeigt sich das nur bei einem Gedan­ken, z.B. der verallgemeinernden Behauptung, dass »alle Katzen gleich seien«, dann ist das entweder Nachlässigkeit oder Geistes­krankheit, denn es sind nicht alle Katzen gleich, auch nicht zwei Katzen, die gleich aussehen, gleich handeln und sich gleich anhören. Man könnte sagen: »Katzen sind im grossen und ganzen gleich« und hätte es noch immer mit ziemlich unvernünftigem Denken zu tun. Oder man könnte feststellen, dass es eine Gattung Felis catus gibt, dass sich aber innerhalb derselben die Katzen jedoch nicht nur von Rasse zu Rasse, sondern auch von Katze zu Katze eindeutig unter­scheiden. Das wäre Vernunft, und zwar nicht deswegen, weil man sich lateinisch ausgedrückt hat, sondern weil man die Unterschiede zwischen Katzen feststellen kann. Die Furcht vor Katzen hat als Ursache ein Engramm, das gewöhnlich nur eine Katze enthält, und das ist eine ganz bestimmte Katze einer bestimmten Rasse, mit einer bestimmten (oder vielleicht ungewissen) Persönlichkeit. Der Preclear, der sich vor allen Katzen fürchtet, fürchtet sich in Wirklichkeit nur vor einer Katze, und zwar vor einer, die höchstwahrscheinlich seit vielen Jahren tot ist. Der Wechsel von vollständiger Vernunft hinab zu Unvernunft wird vollzogen, indem sich die Unterschiede verringern, bis sie fast verschwinden und zu Ähnlichkeiten und Gleichheiten werden.

Aristoteles’ Vernunftschluss, nach dem zwei Dinge, die einem dritten gleichen, auch untereinander gleich seien, ist in der Logik nicht einmal annähernd brauchbar. Logik ist keine Arithmetik, die ein vom Menschen erfundenes, künstliches Gebilde ist (und auch funktioniert). Um ein Problem logisch zu behandeln, windet sich der Verstand mit hoher Geschwindigkeit durch eine enorme Datenmasse und stellt mit Dutzenden, ja sogar mit Hunderten von Variablen Berechnungen an. Er denkt und dachte nie auf der Grundlage, dass zwei Dinge, die einem dritten gleichen, untereinander gleich sind, ausser bei der Anwendung der Mathematik, die der Verstand zur Lösung abstrakter Probleme für besser geeignet hält. Es ist eine abstrakte Wahrheit, dass zwei und zwei vier ist. Zwei wovon und zwei wovon sind gleich vier? Keine Waage, kein Massstab, kein Greifzirkel und kein Mikroskop beweisen zum Beispiel, dass zwei Äpfel plus zwei Äpfel tatsächlich gleich vier Äpfel sind. Zwei Äpfel und zwei Äpfel sind – jetzt – vier Äpfel, sofern es dieselben Äpfel sind. Sie würden vier anderen, noch so ähnlichen Äpfeln nicht gleichen. Der Mensch begnügt sich mit Annäherungswerten und nennt sie, ganz locker, exakte Werte. Es gibt nichts Absolutes, ausser in abstrakten Begrif­fen. Diese werden vom Verstand aufgestellt, um andere, ausserhalb lie­gende Probleme auszuarbeiten und Annäherungen zu erreichen. Die­se Auffassung mag weit hergeholt scheinen, sie ist es aber nicht. Der Mathematiker ist sich voll und ganz bewusst, dass er mit in Ziffern und Analogien ausgedrückten Annäherungen arbeitet, die in Syste­me gebracht wurden und die, bevor der Mensch kam, nicht unbedingt da waren und die nicht unbedingt da sein werden, wenn er ver­schwunden ist. Logisches Denken, sogar ein so einfaches wie bei der Überlegung, ob es klug ist, um zehn Uhr einkaufen zu gehen, bezieht zahllose Variablen, Annäherungen und unbestimmte Werte ein. Ma­thematik kann waggonweise erfunden werden. Es gibt kein tatsäch­liches Absolutum, es gibt lediglich eine enge Annäherung. Nur unse­re Grammatiker, die hinter der Zeit weit zurück sind, bestehen auf absoluter Realität und Wahrheit, vermutlich den Metaphysikern zum Gedenken.

Das wird hier teils deswegen niedergeschrieben, weil es manche interessieren mag, hauptsächlich jedoch, weil der Auditor erkennen muss, dass er einen genauen Massstab für geistige Gesundheit hat. Geistige Gesundheit ist die Fähigkeit, Unterschiede zu erkennen. Je besser jemand Unterschiede zu erkennen vermag, wie winzig sie auch sein mögen, und je genauer er sie bestimmen kann, desto ver­nünftiger ist er. Je weniger man Unterschiede zu erkennen vermag und je mehr man sich dem Denken in Gleichsetzungen nähert (A = A), umso weniger ist man geistig gesund.

Ein Mann sagt: »Ich mag keine Hunde!« Merken Sie auf, Audi­tor: Er hat ein Engramm über einen oder zwei Hunde. Ein Mädchen sagt: »Die Männer sind alle gleich!« Merken Sie auf, Auditor: Hier ist jemand wirklich aberriert. »Berge sind so schrecklich!« »Juweliere gehen nie aus!« »Ich hasse Frauen!« Merken Sie auf! Das sind En­gramme im hellsten Tageslicht.

Engramme, die den analytischen Verstand daran hindern, Unter­schiede zu sehen, hemmen das Denken am schlimmsten.

»Es macht keinen Unterschied« ist ein übliches Engramm. »Es gibt keinen Unterschied«, »Von jetzt an ist mir alles gleich«, »Die Leute sind alle schlecht«, »Alle hassen mich« – das ist Verrücktenfut­ter, wie Auditoren sagen, und macht »irrenhausreif«.

Es gibt noch eine andere Art von Gleichsetzungsdenken: die Art, die Zeitunterschiede zerstört. »Du weisst nicht, wann es war!« ist eine klassische Redewendung. »Ich weiss nicht, wie spät es ist« und andere Wendungen haben eine eigentümliche Wirkung auf den Verstand, denn der Verstand arbeitet nach seiner eigenen Präzisionsuhr, und die Engramme können das Zifferblatt völlig falsch ablesen. Auf bewusster Ebene kommt man ziemlich gut mit der analytischen Zeit zurecht. Die Engramme gleiten umher, hin und zurück, je nachdem, wann sie eingekeyt oder restimuliert werden. Einer heutigen Hand­lung mag ein Engramm zugrunde liegen, das vierzig Jahre auf dem Time-Track zurückliegt und eigentlich dort bleiben sollte. Es sind nicht so sehr Bemerkungen über Zeitunterschiede, die aberrieren, es ist der zeitlich unbestimmte Charakter der Engramme. Die Zeit ist der grosse Scharlatan, sie heilt nichts; sie ändert nur das Aussehen der Umwelt und verändert oder wechselt die Menschen, mit denen man in Kontakt ist. Das Engramm von vor zehn Jahren, mit all seiner schmerzlichen Emotion, mag eingekapselt und »vergessen« sein; es ist jedoch immer da und bereit, Handlungen zu erzwingen, wenn es heute restimuliert wird.

Der reaktive Verstand läuft nach einer Spielzeugarmbanduhr, der analytische Verstand hingegen arbeitet mit einer ganzen Batterie sich gegenseitig kontrollierender Chronometer, auf die ein Ozeanriese stolz sein könnte. Die Zellen denken, dass die Spielzeugarmbanduhr ein ganz annehmbares Gerät sei – und das war sie auch; sie war es in den Zeiten, als des Menschen stammesgeschichtliche Ururahnen von den Wellen angespült wurden und es fertigbrachten, sich im Sand festzukrallen.

Daher ist das Denken in Ähnlichkeiten und Gleichsetzungen ein Hauptkriterium für Aberration. Das Hauptkriterium für Vernunft ist das Vermögen der Unterscheidung und wie fein oder grob sie bewerkstelligt werden kann.

»Die Männer sind alle gleich«, sagt das Mädchen. Und sie sind es auch! Für sie. Armes Ding. Gleich dem Burschen, der sie als Kind vergewaltigte, gleich ihrem verabscheuten Vater, der es sagte.