Liebe

Vermutlich hat der Mensch keinem anderen Thema so viel Auf­merk­sam­keit gewidmet wie der Liebe.

Es ist gewiss wahr, dass dort, wo die grössten Auseinandersetzun­gen herrschen, auch am wenigsten Verstehen zu finden ist. Und dort, wo die Tatsachen am unklarsten sind, kann man auch die grössten Meinungsverschiedenheiten finden. So steht es auch mit der Liebe.

Ohne Zweifel hat die Liebe mehr Leben zerstört als der Krieg und auch mehr Glück geschenkt als alle Träume vom Paradies zu­sammen.

Strapaziert durch tausend Schlager jährlich und erdrückt unter tonnenschwerer Last billiger Literatur, sollte Liebe endlich einmal richtig definiert werden.

Zwischen Mann und Frau gibt es, wie entdeckt wurde, drei ver­schiedene Arten von Liebe: Die erste fällt unter das Affinitätsgesetz und ist die Zuneigung, die die Menschheit zusammenhält; die zweite ist sexuelle Partnerwahl, sie ist eine echte Magnetkraft; die dritte Art ist zwanghafte »Liebe«, sie ist, fern aller Vernunft, durch Aberra­tion diktiert.

Vielleicht gab es in den Legenden von Helden und Heldinnen Fälle der zweiten Art, und wenn man sich in der Gesellschaft um­sieht, kann man sicherlich viele glückliche Partnerschaften finden, die auf natürlicher und starker, zärtlicher Bewunderung beruhen. Die dritte Art finden wir im Überfluss: Die Ramschliteratur hat sich ihr und ihren Qualen verschrieben; sie überflutet die Gerichte mit dringenden Scheidungsgesuchen, mit Straftaten und Zivilklagen; sie schickt Kinder weinend von Streitigkeiten weg in die Ecke und sen­det gebrochene junge Männer und Frauen aus zerrütteten Eltern­häusern ins Leben hinaus.

In der Dianetik wird diese dritte Art von Liebe als »Partner­schaft des reaktiven Verstandes« klassifiziert. Hier trifft ein menschlicher Verstand den anderen – auf der niedrigsten Denkebene, die der Mensch einnehmen kann. Von Zwang getrieben, tun sich Männer und Frauen zusammen, um in dieser Ehe nichts weiter zu finden als Kummer und zerschlagene Hoffnungen.

Er ist der Pseudobruder, der sie regelmässig verprügelte, oder der Pseudovater, dem sie gehorchen musste. Er ist vielleicht sogar die Pseudomutter, von der sie unaufhörlich angeschrien wurde und die sie friedlich stimmen musste. Oder er ist der Doktor, der sie grausam verletzte. Sie mag seine Pseudomutter oder Pseudogrossmutter sein, die er zu lieben hatte, obwohl sie seinen Willen brach. Sie ist viel­leicht eine Pseudokrankenschwester aus irgendeiner längst vergan­genen Operation oder die Pseudolehrerin, die ihn nach der Schule dabehielt, um ihren Sadismus an ihm auszulassen.

Bevor die Ehe geschlossen wird, wissen sie nur, dass ein Zwang sie zusammentreibt, ein Gefühl, dass jeder zu dem anderen ausseror­dentlich nett sein muss. Und dann wird geheiratet; mehr und mehr Restimulierung alter Schmerzen wird fühlbar, bis schliesslich beide krank sind und das Leben – durch unglückliche Kinder nun viel­leicht noch schwerer geworden – ein kläglicher Schiffbruch ist.

Der Mechanismus des Günstigstimmens enthält versteckte Feindseligkeit. Geschenke, die ohne Anlass gegeben werden und die der Geber sich nicht leisten kann, Selbstaufopferung, die momentan so edel erscheint – das ist es, woraus Günstigstimmen besteht. Gün­stigstimmen ist ein Versuch der Apathie, eine gefährliche »Quelle« von Schmerz fernzuhalten. Verwechselte Identität ist einer der klei­neren Fehler des reaktiven Verstandes. Den möglichen Zorn einer Person, die vielleicht schon lange tot ist, die aber nun im Partner weiterlebt, aufzuheben und sich davon freizukaufen, ist die Hoffnung dessen, der sich um Gunst bemüht. Aber ein Mensch, der nicht gelegentlich kämpft, ist tot. Die Feindseligkeit mag eine Maske tragen; sie mag der Person, die sie betreibt, ganz und gar »unbekannt« sein. Gewiss ist sie in den Augen der Person, die sie ausübt, immer gerechtfertigt und wird als natürliche Reaktion auf ein (ach so offensichtliches) erlittenes Unrecht betrachtet.

Die Frau, die vor den Gästen »unabsichtliche« Fehler macht und dabei »zufällig« die Wahrheit über die Lieblingsillusion ihres Mannes preisgibt, die Frau, die die kleinen Gefälligkeiten vergisst, um die er sie gebeten hat, die Frau, die seinen Hoffnungen plötzlich einen »logischen« Dolchstoss verpasst – das alles sind Frauen, die mit einem Partner leben, den sie aufgrund eines Unrechts, das Jahre vor der Beziehung von einem ganz anderen Mann begangen wurde, gün­stig stimmen müssen; es sind Frauen, die in diesem Bemühen die Hoffnungen ihres Mannes zerschlagen und seinen Kummer miss­achten.

Der Ehemann, der mit einer anderen Frau schläft und »aus Versehen« die Spuren ihres Lippenstiftes an seinem Schlips lässt, der Ehemann, der die ausgezeichneten Kochkünste seiner Frau schlecht findet und meint, sie lebe faul in den Tag hinein, der Ehemann, der vergisst, ihre Briefe in den Kasten zu werfen, der Ehemann, der ihre Ansichten albern findet – das alles sind Ehemänner, die mit einem Partner leben, den sie günstig stimmen müssen.

Eine steile Achterbahnkurve von häuslichem Krieg und Frie­den, missglückte Versuche des Verstehens, gegenseitiges Beschneiden von Freiheit und Selbstbestimmung, unglückliches Leben, unglück­liche Kinder und Ehescheidung sind das Ergebnis von Ehen des re­aktiven Verstandes. Von einer unbekannten Drohung zur Heirat getrie­ben, aus Angst vor Schmerz unfähig, Vertrauen zu schenken – so zeigt sich diese »Verstand-Verwandtschaft« als Hauptursache aller Ehe­katastrophen.

Im Gesetzbuch fehlen Definitionen, und so legt es jenen, die in solche Ehen verwickelt sind, grosse Schwierigkeiten in den Weg. Die­ser Weg ist die enger werdende Abwärtsspirale des Elends, die alle chronischen Restimulationen begleitet und nur abwärts zu Misserfolg und Tod führt. Eines Tages wird es vielleicht ein viel vernünftigeres Gesetz geben, das nur Nichtaberrierten erlaubt, zu heiraten und Kinder in die Welt zu setzen. Das gegenwärtige Gesetz sorgt nur dafür, dass Ehen schwer zu scheiden sind, wenn überhaupt. Es ist für den Ehemann, die Ehefrau und die Kinder – für alle Beteiligten – wie eine Verurteilung zu Gefängnis.

Eine Ehe kann gerettet werden, indem man beide Partner von ihren Aberrationen befreit. Das wäre in einer optimalen Lösung auf jeden Fall mit einbegriffen, da es für eine Frau oder einen Mann selbst nach einer Ehescheidung sehr schwierig sein wird, sich in der Zukunft auf irgendeine Ebene des Glücks zu erheben; und wenn Kin­der vorhanden sind, wären ohne Klärung grosse Ungerechtigkeiten unvermeidlich.

Wenn beide Partner einer Ehe des reaktiven Verstandes von Aberra­tion geklärt werden, stellen sie gewöhnlich fest, dass das Leben be­deutend mehr als nur erträglich wird; Menschen haben nämlich oft eine natürliche Zuneigung, auch wenn keine sexuelle Partnerwahl stattgefunden hat. Die Wiederherstellung einer Ehe durch Klären der Partner mag nicht zu einer jener grossen Romanzen führen, die die Dichter besungen haben, sie wird aber mindestens einen hohen Grad an Achtung und Zusammenarbeit auf das gemeinsame Ziel hin bringen, das Leben lebenswert zu machen. Und in vielen Fällen ge­klärter Ehepartner entdeckte man, dass sich die Partner unterhalb des schmutzigen Gewandes der Aberration wirklich liebten.

Für die Kinder bedeutet ein solches Klären einen grossen Ge­winn. Der Hauptfaktor fast aller ehelichen Unzufriedenheit ist Aber­ration auf der Zweiten Dynamik, der Sexualität. Und immer hat eine solche Aberration auch eine nervöse Einstellung Kindern gegenüber zur Folge.

Wo Kinder vorhanden sind, ist eine Scheidung keine Lösung – Klären ist eine. Und mit dem Klären tut sich eine neue Seite des Lebens auf, die mit Glücklichsein überschrieben werden kann.

Im Fall einer Ehe des reaktiven Verstandes wird das gegenseitige Klären oft durch die versteckte Feindseligkeit erschwert, die unter dem Mechanismus des Günstigstimmens schwelt. Die Ehepartner handeln klug, wenn jeder einen Freund ausserhalb des Hauses für die gegenseitige Therapie gewinnt. Wenn gegenseitiges Klären ange­strebt wird, indem die Partner miteinander arbeiten, müssen sie Wut in hohem Grade zurückhalten und sehr viel Geduld üben, und der Auditorenkodex muss strengstens eingehalten werden. Es erfordert den Langmut eines Heiligen, den Ton eins des Partners zu ertragen, der, zu einem Streiterlebnis zurückgekehrt, die Wiedererzählungen mit weiteren Angriffen würzt. Die gegenseitige Behandlung ist zwar möglich, wenn es anders nicht geht; gab es jedoch bei einem Ehepaar viel Streit und Kummer, dann ist es sicher einfacher, wenn sich beide nach einem Therapiepartner ausserhalb des Hauses umsehen.

Ausserdem wird zwischen Auditor und Preclear immer eine Art Zusammengehörigkeitsgefühl hergestellt, und nach erfolgter Sitzung ist die natürliche Affinität so verstärkt, dass eine kleine Hand­lung oder ein kleines Wort als grausamer Angriff empfunden wird, was Streit zur Folge hat und die Therapie hemmt.

Man kann annehmen, dass Männer am besten von Männern und Frauen am besten von Frauen auditiert werden. Das gilt nicht, wenn man es mit einer Frau zu tun hat, die in Bezug auf Frauen so schwe­re Aberrationen hat, dass sie in deren Nähe Furcht empfindet, oder wenn man einen Mann auditiert, der grosse Furcht vor Männern hat.

Die Dynamiken von Männern und Frauen unterscheiden sich etwas voneinander, und manchmal findet es eine Frau schwierig, beim Auditieren ihres Mannes beharrlich genug zu sein, besonders wenn es jemals grösseren Streit gegeben hat. Der Ehemann kann gewöhnlich ohne grosse Schwierigkeiten auditieren, doch wenn er sich selbst in der Therapie befindet, zwingt ihn sein Gefühl, dass er sich über die Situation erheben müsse, zu dem Versuch, sich selbst zu kontrollieren – was ganz unmöglich ist.