Der Clear

In der Dianetik wird der optimale Mensch ein Clear genannt. Diesem Wort wird man im vorliegenden Buch oft begegnen, und zwar in der Verwendung als Substantiv wie auch als Verb (klären). So ist es hier am Anfang wohl angebracht, genau festzulegen, was unter einem Clear, einem Menschen am Ziel der dianetischen Therapie, zu verstehen ist.

Man kann einen Clear auf alle Psychosen, Neurosen, Zwänge und Verdrängungen (alles Aberrationen) testen und ihn auf alle selbsterzeugten Krankheiten, die man psychosomatische Leiden nennt, prüfen. Das Ergebnis wird immer sein, daß der Clear von solchen Störungen oder Aberrationen völlig frei ist. Tests ergeben, dass sein Intelligenzquotienten hoch über dem heutigen Durchschnitt liegt. Seine Handlungen zeigen, daß er das Dasein voller Tatkraft meistert und Befriedigung aus seinem Leben zieht.

Diese Ergebnisse kann man auch durch Vergleiche erhalten. So kann man einen Neurotiker, der außerdem noch psychosomatische Leiden hat, auf seine Aberrationen und Krankheiten hin testen und damit deren Existenz beweisen. Man kann ihn dann mit der Absicht, diese Neurosen und Leiden zu beseitigen, dianetischer Therapie unterziehen. Bei der anschließenden Untersuchung wird man die oben beschriebenen Ergebnisse finden. Übrigens sind solche Experimente oftmals, und zwar mit konstanten Ergebnissen, durchgeführt worden. Der Nachweis, daß alle Menschen mit organisch voll­ständigen Nervensystemen in dieser Weise auf das dianetische Clearverfahren ansprechen, kann unter wissenschaftlichen Testbedingungen erbracht werden.

Ferner besitzt der Clear bestimmte grundlegende und ihm inne­wohnende, doch im ungeklärten Zustand nicht immer verfügbare Eigen­schaften. Von diesen im Menschen nicht vermuteten Eigenschaften war in früheren Erörterungen seiner Fähigkeiten und Verhaltensweisen nicht die Rede.

Betrachten wir zunächst die Wahrnehmungsfähigkeit: Selbst sogenannte normale Menschen sehen nicht immer in voller Farbe, hören nicht immer in vollem Klang, oder ihr Geruchs-, Geschmacks- oder Tastsinn oder auch ihre Organempfindungen lassen zu wünschen übrig.

Dies aber sind die wesentlichen Kommunikationskanäle zur meß- und bestimmbaren Außenwelt, die die meisten als Wirklichkeit anerkennen. Frühere Beobachter hielten zwar das Sehen der Wirklichkeit für absolut notwendig, wenn der aberrierte Mensch geistig gesund werden wollte, gaben aber interessanterweise keine Erklärung ab, wie das geschehen solle. Um in der Gegenwart der Wirklichkeit ins Auge zu sehen, müßte der Mensch natürlich imstande sein, sie durch jene Kommunikationskanäle wahrzu­nehmen, von denen er in der Praxis am häufigsten Gebrauch macht.

Jede menschliche Wahrnehmung kann durch psychische Störungen ver­fälscht werden, die es nicht zulassen, daß die empfangenen Sinneseindrücke vom analytischen Teil des menschlichen Verstandes (vom Bewußtsein) erfaßt werden. Ein Beispiel: Obwohl in den Mechanismen des Farbempfangs kein Fehler vorliegen mag, können im Verstand unbewußte Schaltkreise bestehen, die die Farbe tilgen, bevor dem Bewußtsein das Anschauen des Gegenstands gestattet wird. Man wird entdecken, daß Farbenblindheit relativ sein kann oder in Abstufungen vorkommt, und zwar in der Art, daß Farben weniger leuchtend wirken oder trüb erscheinen oder, im schlimmsten Fall, völlig fehlen. Jeder von uns kennt Leute, die grelle Farben verabscheuen, und solche, denen sie nicht grell genug sein können. Diesen unterschiedlichen Grad von Farbenblindheit hat man keineswegs auf einen bestimmten psychischen Faktor zurückgeführt, sondern man hat einfach verschwommen angenommen, er hänge irgendwie mit der Gemütsverfassung zusammen – wenn man ihn überhaupt bemerkte.

Es gibt Menschen, für die Geräusche recht störend sind, für die beispielsweise das anhaltende Gewimmer einer Geige eine ziemliche Attacke auf das Trommelfell bedeutet. Es gibt Leute, für die fünfzig fortissimo spielende Geigen beruhigend klingen, und es gibt andere, bei denen eine Geige Gleichgültigkeit und Langeweile auslöst, und wiederum gibt es Leute, für die der Klang einer Geige, wie kompliziert die gespielte Melodie auch immer sein mag, monoton wirkt. Diese Unterschiede in der akustischen Wahrnehmung hat man ebenso wie Farbenblindheit und andere Sehfehler angeborenen Verschiedenheiten oder organischen Mängeln zugeschrieben oder überhaupt nicht eingeordnet.

In ähnlicher Weise sind Geruchs-, Tast- und Organempfindungen, Schmerz- und Schwereempfindungen von Person zu Person sehr verschieden. Eine flüchtige Umfrage unter Freunden wird Ihnen beweisen, daß enorme Unterschiede in der Wahrnehmung identischer Reize bestehen. Der eine empfindet den Geruch eines Truthahns im Ofen als wundervoll, den anderen läßt er kalt, ein dritter riecht ihn womöglich gar nicht. Und wieder ein anderer könnte behaupten, ein bratender Truthahn rieche genau wie Haaröl – um einen Extremfall zu nennen.

Hätten wir keine Clears geschaffen, bliebe es unbegreiflich, warum solche Unterschiede bestehen sollten. Denn diese außerordentlichen qualitativen und quantitativen Wahrnehmungsunterschiede werden zum größten Teil von Aberrationen verursacht. Aufgrund angenehmer Erfahrun­gen in der Vergangenheit und angeborener Empfindsamkeit wird es einige Unterschiede auch bei Clears geben. Man sollte ihre Reaktionen aber nicht automatisch als standardisiertes, angepaßtes Mittelmaß annehmen, jenes blasse und widerwärtige Ziel früherer Lehren. Der Clear erfährt ein optimales Maß an Empfindungen, das mit seinem eigenen Verlangen nach Empfindungen in Einklang steht. Eine brennende Zündschnur riecht auch für ihn gefährlich, macht ihn aber nicht krank. Er riecht gebratenen Truthahn gern, wenn er hungrig ist, und wenn er Truthahn mag, dann riecht er ihn sogar besonders gern. Wenn der Clear am Geigenspiel Freude hat, dann sind das für ihn keine monotonen Melodien, sie verursachen keinen Schmerz, und er kann sie vollauf genießen. Sollte er Geigen nicht mögen, dann gefallen ihm vielleicht Kesselpauken oder Saxophone, oder er will, je nach seiner Stimmung, überhaupt keine Musik hören.

Hier sind also zwei Variablen am Werk: Eine, die Verrückte, wird durch Aberrationen verursacht. Die andere, eine ganz Vernünftige und Begreifliche, wird von der Persönlichkeit bestimmt.

So weichen die Wahrnehmungen eines Aberrierten (einer nicht geklärten Person) und die eines Clears (einer nicht aberrierten Person) stark voneinander ab.

Es gibt auch Unterschiede in den eigentlichen Sinnesorganen und Fehler, die von ihnen veranlaßt werden. Manche dieser Fehler, der geringste Anteil, sind organischer Natur: durchbohrte Trommelfelle etwa sind keine zuverlässigen Mechanismen der Klangaufnahme. Die Mehrzahl der Wahrnehmungsfehler (fehlerhafte Sinnesbotschaften) im organischen Bereich wird von psychosomatischen Störungen verursacht.

Überall sieht man Brillen auf den Nasen, selbst bei Kindern. Man setzt sich für gewöhnlich eine Brille auf, um einen Zustand zu berichtigen, den der Körper selbst unbedingt wieder zu stören bestrebt ist. Wenn das Stadium kommt, in dem man eine Brille zu tragen beginnt, verschlechtert sich die Sehkraft aufgrund des psychosomatischen Prinzips (nicht wegen der Brille an sich). Diese Beobachtung ist praktisch genauso gültig wie die Feststellung, daß Äpfel, die vom Baum fallen, gewöhnlich dem Gesetz der Schwerkraft folgend nach unten fallen. Bei einem Clear wird sich im Allgemeinen – neben anderen Verbesserungen – auch eine deutliche Besserung des Sehvermögens einstellen, sofern es im aberrierten Zustand schlecht gewesen ist. Mit ein wenig Aufmerksamkeit wird er sogar im Laufe der Zeit sein optimales Seh­vermögen wiedererlangen. (Aus der Sicht des Optikers liefert das durchaus kein Argument gegen die Dianetik, sondern es bedeutet sogar ein gutes Geschäft für ihn. Denn es hat Clears gegeben, die nach Abschluß ihrer Behandlung in schneller Folge fünfmal neue Brillengläser kaufen mußten, um mit der Verbesserung der Augen Schritt zu halten. Und viele aberrierte Personen, die erst spät im Leben Clear werden, erreichen schließlich ein maximales Sehvermögen, das dicht unterhalb des Optimums liegt.)

Das Sehvermögen war beim Aberrierten infolge seiner Aberrationen organisch herabgesetzt, so daß das eigentliche Sinnesorgan in seiner opti­malen Funktion reduziert war. Wiederholte Versuche haben erwiesen, daß der Körper nach der Beseitigung von Aberrationen eine kraftvolle Anstrengung zur optimalen Wiederherstellung unternimmt.

Das Gehör variiert in organischer Hinsicht ebenso wie andere Wahrnehmungen innerhalb einer weiten Bandbreite. Ablagerungen von Kalziumverbindungen können beispielsweise unaufhörliches Ohrenklingen verursachen. Die Beseitigung von Aberrationen macht es dem Körper möglich, sich wieder auf sein erreichbares Optimum einzustellen; die Ablagerungen verschwinden, und die Ohren klingen nicht mehr. Doch ganz abgesehen von diesem Sonderfall gibt es auf organischer Grundlage auch andere große Hörunterschiede. Sowohl organisch als auch infolge von Aberration kann das Gehör stark erweitert oder beeinträchtigt sein, so daß es für die eine Person normal ist, Schritte einen Häuserblock entfernt zu hören, während eine andere nicht einmal eine auf der Veranda dröhnende Pauke hört.

Daß die verschiedenen Wahrnehmungen sich durch Aberration und wegen psychosomatischer Störungen von Mensch zu Mensch stark unter­scheiden, ist eine der geringeren Entdeckungen der Dianetik. Die Fähigkeit des Rückrufs (sich Vergangenes zu vergegenwärtigen) ist in ihrer Unterschiedlichkeit von Person zu Person weitaus eindrucksvoller.

Im Zuge der Beobachtung von Clears und Aberrierten kam ein ganz neuer Vorgang des Zurückrufens ans Licht. Er war zwar dem menschlichen Verstand von Natur aus eigen, war jedoch nicht bemerkt worden. Diese Form des Rückrufs ist nur wenigen aberrierten Menschen in vollem Maße gegeben. Beim Clear aber ist sie ganz normal. Daß diese Fähigkeit vorher nicht bemerkt wurde, soll natürlich nicht heißen, daß die Gelehrten früherer Zeiten nicht über Beobachtungsgabe verfügten. Wir haben es hier mit einer ganz neuen und vorher nicht verfügbaren Untersuchungsperson, dem Clear, zu tun. Was ein Clear leicht schafft, konnten zwar auch früher schon eine ganze Rei­he Menschen vollbringen, doch nur sporadisch und teilweise.

Eine von Natur aus vorhandene, nicht erworbene Fähigkeit der Erinnerungsmechanismen des Verstandes kann als Rückkehr bezeichnet werden, was in der Dianetik als ein technischer Ausdruck zu verstehen ist. Dieses Wort wird entsprechend der Wörterbuchbedeutung gebraucht, allerdings mit dem Zusatz, daß der Verstand diese Fähigkeit der Rückkehr als eine normale Erinnerungsfunktion besitzt. Der Mensch kann einen Teil seines Verstandes in eine vergangene Periode »senden«, und zwar auf einer rein geistigen oder auf einer kombiniert geistig-körperlichen Grundlage, und er kann Geschehnisse, die damals stattgefunden haben, in der gleichen Weise und mit den gleichen Empfindungen wie früher wiedererleben. Früher praktizierte man in der Hypnose die so genannte »Regression«, wobei der Hypnotiseur die Versuchsperson zu Geschehnissen in ihre Vergangenheit zurückschickte. Dies geschah mittels Hypnosetechniken, Drogen und beträchtlichem Aufwand, und es gab zwei verschiedene Methoden: Erstens einmal konnte der Hypnotisierte »vollständig« in eine frühere Zeit zurückversetzt werden. Er erweckte dann ganz den Anschein, sich in dem Alter zu befinden, in das er zurückversetzt worden war, ausgestattet scheinbar nur mit den Fähigkeiten und Erinnerungen, die er zu jenem Zeitpunkt hatte. Das nannte man »Revivifikation«. Dagegen ist die Regression im engeren und eigentlichen Sinn eine Technik, durch die ein Teil des Ichs der betreffenden Person in der Gegenwart bleibt und ein Teil in die Vergangenheit geht. Man vermutete aber, daß diese Fähigkeiten des Verstandes allein in der Hypnose aktiviert werden konnten, und benutzte sie daher nur in der Hypnose. Diese Technik ist sehr alt, sie geht einige tausend Jahre zurück und existiert heute in Asien wie offenbar schon seit Urzeiten.

»Regression« (im engeren Sinn) wird hier durch Rückkehr ersetzt, denn diese beiden Begriffe sind nicht miteinander vergleichbar. Schon als Wort ist »Regression« mit einigen negativen Bedeutungen belastet, die seine Anwendung stören würden. Anstelle von »Revivifikation« steht in der Diane­tik Wiedererleben, denn in der Dianetik kann man die Prinzipien der Hypnose erklären, aber Hypnose wird in der dianetischen Therapie nicht benutzt, wie später noch ausgeführt werden wird.

Der Verstand hat also noch eine andere als die bekannte Erinne­rungs­fähigkeit. Ein Teil des Verstandes kann »zurückkehren«, auch wenn der Mensch hellwach ist, und frühere Geschehnisse vollständig wieder durchleben. Wenn Sie das erproben möchten, so versuchen Sie es mit verschiedenen Menschen, bis Sie einen gefunden haben, dem es leicht fällt. Hellwach kann er zu Momenten in seiner Vergangenheit zurückkehren. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem man ihn dazu auffordert, wird er vermutlich gar nicht wissen, daß er eine solche Fähigkeit besitzt. Sollte er gewußt haben, daß er sie hat, dann dachte er wahrscheinlich, jeder habe diese Fähigkeit (das ist die Art Annahme, die so viele solcher Tatsachen daran hinderte, früher ans Licht zu kommen). Er kann z.B. zu einer Zeit zurückgehen, in der er schwamm – mit vollem Rückruf des Gehörten, Gesehenen, Geschmeckten, Gerochenen, Berührten, organisch Wahrgenommenen usw.

Ein »studierter« Herr verbrachte einmal einige Stunden damit, einer Gesellschaft darzulegen, daß beispielsweise der Rückruf eines Geruchs als Empfindung ganz unmöglich sei, da »die Neurologie bewiesen habe, daß die Geruchsnerven nicht mit dem Thalamus verbunden seien«. Zwei der anwesenden Personen entdeckten ihre Fähigkeit zur Rückkehr; aber trotz dieses Beweises behauptete der gelehrte Herr weiter, daß Geruchsrückruf unmöglich sei. Eine Nachprüfung unter den Anwesenden der Gesellschaft brachte, unabhängig vom Phänomen der Rückkehr, die Tatsache ans Licht, daß sich rund die Hälfte der Leute an einen Geruch erinnern konnte, indem sie ihn wieder roch.

Rückkehr ist das volle Erleben der erinnerten Situation. Die komplette Erinnerung kann die betreffenden Organbereiche dazu bringen, die Reize aus einem früheren Geschehnis wieder zu empfinden. Teilrückruf ist üblich; nicht üblich genug, um als normal zu gelten, doch sicher üblich genug, daß umfangreiche Studien am Platz sind. Denn hier handelt es sich wieder um eine weitgespannte Variable.

Die Gegenwart wahrzunehmen wäre einer der Wege, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen. Doch wenn einer die Wirklichkeit von Vergangenem nicht anschauen kann, dann sieht er einen Teil der Wirklichkeit nicht. Und wenn man übereingekommen ist, daß es wünschenswert ist, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen, dann müßte das auch die Wirklichkeit von gestern betreffen, wenn man in Übereinstimmung mit der heutigen Definition als vollständig »geistig gesund« betrachtet werden soll. Dem Gestern ins Auge zu sehen verlangt, daß ein bestimmtes Vermögen zum Rückruf vorhanden ist. Man müßte imstande sein, sich zu erinnern. Doch wie viele Arten von Erinnerung gibt es?

Erstens gibt es die Rückkehr. Das ist neu. Sie bietet den Vorteil, die sich bewegenden Bilder und alle anderen Sinneswahrnehmungen prüfen zu können, die zur Zeit des Ereignisses aufgenommen wurden. Man kann auch zu seinen früheren Schlußfolgerungen und Vorstellungen zurückkehren. Die Fähigkeit, wieder dort zu sein, wo die gewünschten Informationen ursprüng­lich in Augenschein genommen wurden, ist eine erhebliche Hilfe beim Lernen, bei der Forschung und im Alltagsleben.

Dann gibt es die üblicheren Rückrufe. Der optimale Rückruf erfolgt durch die Rückkehr eines einzelnen Sinnes oder mehrerer Sinne, wobei die Person selbst in der Gegenwart bleibt. Manche Leute sehen, fühlen und riechen wirklich eine Rose, wenn sie an eine denken. Sie sehen sie in voller Farbe, ganz leuchtend, mit dem »geistigen Auge«, um eine alte Redewendung zu benutzen. Sie riechen sie lebhaft. Und sie könnten sogar ihre Dornen fühlen. Sie denken an Rosen, indem sie sich wirklich eine Rose zurückrufen.

Wenn diese Menschen an ein Schiff dachten, würden sie ein bestimmtes Schiff sehen und, wenn sie im Geiste an Bord sind, seine Bewegung fühlen. Sie würden den Kiefernteer oder auch weniger würzige Gerüche riechen. Sie würden das Schiff in voller Farbe und Bewegung sehen und alle vorhandenen Geräusche mit voller Klangfarbe hören.

Bei aberrierten Personen variieren diese Fähigkeiten sehr. Manche können eine Rose nur visuell erfassen, wenn man sie auffordert, an eine zu denken. Andere können eine riechen, sie aber nicht sehen. Wiederum andere sehen sie ohne Farbe oder in sehr blasser Farbe. Wenn man sie veranlaßt, an ein Schiff zu denken, sehen manche Aberrierte nur ein flaches, farbloses, unbewegliches Bild, ähnlich einem Gemälde oder der Fotografie eines Schiffes. Manche sehen ein Schiff in Bewegung, zwar ohne Farbe, aber mit Geräusch. Andere hören das Geräusch eines Schiffes, können aber überhaupt kein Bild sehen. Wieder andere denken nur an ein Schiff als Begriff, daß Schiffe existieren und daß sie davon wissen, können aber in der Erinnerung eigentlich nichts sehen, fühlen, hören, riechen oder sonst wie empfinden.

Manche früheren Beobachter haben dies als »bildliche Vorstellungen« bezeichnet, doch ist der Ausdruck derart ungeeignet für Geräusch und Berührung, Organempfindung und Schmerz, daß in der Dianetik einheitlich als Fachwort Rückruf benutzt wird. Der Wert des Rückrufs in unserem täglichen Leben hat derart geringe Aufmerksamkeit gefunden, daß dieser ganze Begriff niemals zuvor formuliert worden ist. Deswegen wurde hier eine ziemlich ausführliche Beschreibung gegeben.

Es ist ganz einfach, Rückrufe zu testen. Wenn man seine Bekannten nach ihren Möglichkeiten fragt, sich etwas zurückzurufen, wird man eine sehr gute Vorstellung davon bekommen, wie sehr diese Fähigkeit von Person zu Person verschieden ist. Manche haben die eine Art des Rückrufs, manche eine andere, und wieder andere haben überhaupt keinen Rückruf, sondern arbeiten nur mit der Vorstellung eines Rückrufs. Wenn Sie nun einen Test in Ihrer Umgebung machen, dann denken Sie daran, daß jede Wahrnehmung im Gedächtnis aufgenommen und gespeichert wird und darum zurückgerufen werden kann. Und dieser Rückruf würde Schmerz, Temperatur, Rhythmus, Geschmack und Gewicht enthalten wie auch die oben erwähnten Seh- und Geräuscheindrücke, Tast- und Geruchsempfindungen.

In der Dianetik unterscheiden wir den optischen Rückruf (auch »Visio« genannt), den Geräuschrückruf (»Sonik«), den Rückruf von Berührung, den Geruchsrückruf, den Rückruf von Rhythmus, den Rückruf von Gewicht und Bewegung, den Schmerzrückruf, den Temperaturrückruf und den organi­schen Rückruf (für innere Empfindungen und, gemäß neuer Definition, Emotionen).

Eine weitere Reihe geistiger Vorgänge läßt sich unter den Stichwörtern Phantasie und schöpferische Phantasie zusammenfassen. Hier ist wiederum reichlich Material vorhanden, das genauer erforscht werden kann.

Phantasie bedeutet Neukombination von Dingen, die man empfunden, gedacht oder durch intellektuelle Schlußfolgerungen geschaffen hat, die aber nicht unbedingt existieren. Phantasie ist die Methode des Verstandes, sich wünschens­werte Ziele vorzustellen oder die Zukunft vorauszuplanen. Phantasie ist unschätzbar wertvoll beim Gestalten der wesentlichen Lösungen sowohl eines jeden geistigen Problems als auch des Alltagslebens. Daß es sich nur um Neukombinationen handelt, nimmt ihr auf keine Weise ihre ungeheure und wunderbare Vielgestaltigkeit.

Ein Clear macht von seiner Phantasie in vollem Umfang Gebrauch. Es gibt Phantasieeindrücke des Gesichts-, Geruchs-, Geschmacks-, Gehörsinns – kurz, für jede der möglichen Wahrnehmungen. Diese Eindrücke werden hergestellt, indem Modelle aus den Gedächtnisbanken (Speicherbanken) mit Hilfe von Ideen kombiniert und zusammengebaut werden. Neue materielle Strukturen, das Morgen von heute aus, das nächste Jahr vom letzten aus gesehen, zukünftige Freuden, Taten, die es zu tun gilt, Unfälle, die vermieden werden sollten – all dies sind Funktionen der Phantasie.

Der Clear verfügt über unbehinderte Phantasie mit farbigem Sehen, vollklanglichem Hören, Tastgefühl, Geruchsempfindung sowie mit Gefühl für Rhythmus, Gewicht und Bewegung, Temperatur und Organempfindung. Wenn man ihn auffordert, sich in einer vergoldeten vierspännigen Kutsche fahren zu sehen, »sieht« er das sich bewegende Gefährt in voller Farbe, »hört« er alle Geräusche, die dazugehören müßten, »riecht« er die Gerüche, die nach seiner Meinung damit verbunden sein müßten, »fühlt« er die Polsterung, die Bewegung und sich selbst in der Kutsche.

Neben der gewöhnlichen Phantasie gibt es die schöpferische Phantasie – eine sehr weitreichende, an keine Dimensionen gebundene Fähigkeit, die von Mensch zu Mensch recht unterschiedlich ist und die manche Menschen in sehr großem Maße besitzen. Sie wird hier nicht als ein Teilbereich der geistigen Funktion angeführt, der üblicherweise in der Dianetik behandelt wird, sondern nur um aufzuzeigen, daß sie eigenständig vorhanden ist. Bei einem Clear, der bereits als Aberrierter, wenn auch gehemmt, schöpferische Phantasie besaß, ist sie vorhanden und nachweisbar. Sie ist angeboren. Sie kann nur durch Hemmung ihrer allgemeinen Ausübung aberriert werden, d. h. indem die Beharrlichkeit ihrer Anwendung aberriert oder der gesamte Verstand abgekapselt wird. Jedoch kann man schöpferische Phantasie – diesen Besitz, durch den Kunstwerke geschaffen, Staaten errichtet werden und die Menschheit bereichert wird – als geistige Sonder­funktion betrachten, die in ihrem Wirken unabhängig ist und deren Vorhandensein überhaupt nicht von einem aberrierten Zustand der Person abhängt. Denn wenn man die Tätigkeit der schöpferischen Phantasie bei einem Clear, der sie besitzt, beziehungsweise den Gebrauch, den er von ihr macht, untersucht, so zeigt dies ausreichend, daß sie dem Menschen innewohnt. Sie fehlt selten bei jemandem.

Und schließlich kommen wir auf die letzte, aber gleichzeitig wichtigste Tätigkeit des Verstandes zu sprechen. Der Mensch ist ein bewußt empfindendes, vernunftbegabtes Wesen. Dieses Merkmal beruht auf seiner Fähigkeit, Probleme zu lösen, indem er Situationen erkennt oder erschafft und versteht. Diese seine Vernunft ist die primäre, übergeordnete Funktion desjenigen Teils des Verstandes, der ihn zum Menschen macht, so daß er nicht bloß ein Tier unter Tieren ist. Mit Erinnerung, Wahrnehmung und Phantasie hat er die hervorragende Fähigkeit, Schlüsse zu ziehen und, auf vorliegenden Schlußfolgerungen aufbauend, Weiteres zu schlußfolgern. Das ist der vernunftbegabte Mensch.

Von Aberration freie Vernunft kann man nur bei einem Clear studieren. Dem Aberrierten geben seine Aberrationen den Anschein von Unvernunft. Zwar kann man solche Unvernunft auf mildere Weise als »Exzentrizität« oder »menschliches Irren« oder gar »persönliche Eigenart« bezeichnen, sie bleibt indes Unvernunft. Die Persönlichkeit eines Menschen hängt nicht davon ab, wie unvernünftig er handelt. Es ist beispielsweise kein Ausdruck von Persönlichkeit, betrunken am Steuer zu sitzen und am Zebrastreifen ein Kind zu töten – oder auch nur zu riskieren, durch Fahren im betrunkenen Zustand ein Kind zu töten. Unvernunft ist nichts anderes als die Unfähigkeit, aus vorhandenen Daten richtige Antworten zu erhalten.

Es ist nun eine merkwürdige Tatsache, daß – obwohl »jedermann weiß« (und welch eine schreckliche Menge von Fehlinformationen bringt diese Art Behauptung in Umlauf), daß »Irren menschlich ist« – der bewußt empfindende, vernunftbegabte Teil des Verstandes, der die Lösung von Problemen wie ein Computer errechnet, indem er denkt, und der den Men­schen zum Menschen macht, völlig unfähig ist zu irren.

Das war, als es festgestellt wurde, eine verblüffende Entdeckung, aber das hätte es gar nicht sein müssen. Man hätte diese Tatsache schon einige Zeit früher folgern können, da sie ganz einfach und leicht verständlich ist. Die eigentliche Fähigkeit des Menschen, Berechnungen anzustellen, unter­liegt niemals einem Irrtum, auch nicht bei einem sehr stark aberrierten Menschen. Wenn man einen Aberrierten bei seinem Tun beobachtet, könnte man gedankenlos annehmen, daß die Berechnungen dieses Menschen verkehrt seien. Doch das wäre ein Beobachtungsfehler. Jeder einzelne, ob aberriert oder geklärt, stellt auf der Grundlage der gespeicherten und wahrgenommenen Daten perfekte Berechnungen an.

Nehmen Sie irgendeine gewöhnliche Rechenmaschine (und der Verstand ist ein außergewöhnlich gutes Instrument, das jeder Maschine, die der Mensch bis in die ferne Zukunft hinein erfinden wird, weit überlegen ist), und geben Sie dieser ein Problem zur Lösung auf: multiplizieren Sie sieben mit eins. Sie wird richtig mit sieben antworten. Multiplizieren Sie jetzt sechs mit eins, halten Sie aber weiterhin die Sieben unten. Sechsmal eins ist sechs, aber die Antwort, die Sie bekommen werden, ist zweiundvierzig. Halten Sie die Sieben weiterhin unten und geben Sie der Maschine andere Probleme auf. Das Ergebnis ist falsch – nicht die Aufgabenstellung, sondern die Lösung. Befestigen Sie nun die Sieben, so daß sie immer unten bleibt, gleichgültig, welche Tasten berührt werden, und versuchen Sie die Maschine wegzugeben. Keiner wird sie mögen, weil die Maschine offenbar »verrückt« ist. Sie sagt, zehn mal zehn sei siebenhundert. Doch ist der Rechenteil der Maschine wirklich kaputt, oder werden ihm lediglich falsche Daten eingegeben?

Ebenso fällt der menschliche Verstand unrichtigen Daten zum Opfer. Ihm wird tausendmal in der Stunde die Aufgabe gestellt, Probleme zu lösen, die so groß und so sehr mit Variablen geladen sind, daß sie jede Rechenmaschine durcheinanderbringen würden. Falsche Daten gelangen in die Maschine, und die Maschine gibt verkehrte Antworten. Unrichtige Daten gelangen in die menschlichen Gedächtnisbanken, und der Mensch reagiert auf »abnormale« Weise. Im Grunde besteht also das Problem, Aberration zu lösen, darin, eine »heruntergehaltene Sieben« zu finden. Doch davon später sehr viel mehr. Für den Augenblick haben wir unser unmittelbares Ziel er­reicht.

Das sind die verschiedenen Fähigkeiten und Tätigkeiten des mensch­lichen Verstandes, angesichts der ständigen Aufgabe, eine Fülle von Problemen zu bearbeiten und zu lösen. Er nimmt wahr, er ruft sich etwas zurück oder kehrt zurück, er stellt sich etwas vor, denkt sich etwas aus und gibt dann eine Lösung. Unser Verstand bringt mit Hilfe seines »Zubehörs« – den Wahrnehmungen, den Gedächtnisbanken und der Phantasie – Antworten hervor, die ausnahmslos genau sind und die nur durch Beobachtung, Erziehung und Gesichtspunkt modifiziert werden.

Und die Grundabsichten dieses Verstandes sowie die Grundnatur des Menschen, wie sie beim Clear feststellbar sind, sind konstruktiv und gut, ausnahmslos konstruktiv und ausnahmslos gut, wobei die Lösungen nur modifiziert werden durch Beobachtung, Erziehung und Gesichtspunkt.

Der Mensch ist gut.

Entfernen Sie seine Grundaberrationen, und mit ihnen verschwindet das Böse, das die Scholastiker und die Moralisten so gern hatten. Der einzige Teil, der vom Menschen abgetrennt werden kann, ist der »böse« Teil. Und wenn er abgetrennt wird, steigern sich Persönlichkeit und Lebenskraft des Menschen. Und er ist froh, den »bösen« Teil gehen zu sehen, denn er war körperlicher Schmerz.

An späterer Stelle folgen Experimente und Beweise dafür, und sie können mit der Präzision, die dem Naturwissenschaftler so am Herzen liegt, gemessen werden.

Der Clear ist also keine »angepaßte« Person, die durch ihre verkapselten Verdrängungen zur Aktivität getrieben wird. Er ist ein Mensch ohne Verdrängungen, der auf der Basis der Selbstbestimmung arbeitet. Seine Fähigkeiten der Wahrnehmung, des Rückrufs, der Rückkehr und Phantasie, des Gestaltens und Berechnens sind oben im Umriß dargestellt worden.

Der Clear stellt das Ziel der dianetischen Verfahren dar, ein Ziel, das mit etwas Geduld und ein wenig Studium und Arbeit erreicht werden kann. Jeder Mensch kann ein Clear werden, sofern er nicht das Unglück hatte, daß ihm ein großer Teil seines Gehirns entfernt oder daß er mit einem stark mißgebildeten Nervensystem geboren wurde.

Wir haben hier das Ziel der Dianetik gesehen. Betrachten wir nun das Ziel des Menschen.